Gibt es durch die gesellschaftlichen Entwicklungen häufiger Mikroverletzungen?

Betrachten wir die gesellschaftlichen Entwicklungen und die scheinbar stetig wachsende Anzahl psychischer Erkrankungen, könnten wir auf den Gedanken kommen, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte. Kann es beispielsweise sein, dass wir in der Arbeitswelt mittlerweile auf höhere Belastungen treffen?

Lass uns das einmal genauer beleuchten, indem wir in die einzelnen Lebensbereiche schauen und uns ansehen, was uns Studienergebnisse dazu zeigen können.

 

Wie uns das Perfektionismusstreben und der Selbstoptimierungs”wahn” beeinflussen

Perfektionismus und ein wachsender, beinahe wahnhaft anmutender Drang, sich selbst zu optimieren, beeinflussen unsere Gesellschaft und das Individuum darin enorm.

Sicher erfährst du das in deinem Alltag am eigenen Leib. Ein Blick in den Spiegel kann genügen, um die Idee zu entwickeln, doch mal wieder etwas abzunehmen, die Falten zu bekämpfen oder die Haare verdichten zu lassen. Möglichkeiten der Optimierung gibt es heutzutage nicht nur optisch genügend, sondern auch emotional.

Wir sollen schließlich selbstbestimmte, tolerante und reife Menschen sein. Auf zahlreichen social media Beiträgen können wir täglich nachlesen, was wir zur Erreichung diverser Ziele unternehmen können.

Doch wohin führt dieses Streben nach Perfektion?

In einen unlösbaren Konflikt!

 
In diesem Streben nach Perfektion steckt ein unlösbarer Konflikt. Einerseits sollen wir jede Schwäche mit einem Höchstmaß an starkem Willen und Disziplin ausmerzen. Andererseits sollen wir eigene Schwächen akzeptieren, um uns selbst annehmen und lieben zu können.
— Sonja Unger, Mikrotrauma, 2024
 

Wir sind also gut beraten, wenn wir uns selbst gegenüber ein wenig gnädiger sind und uns darin üben, das Unperfekte an uns selbst und anderen auszuhalten und als menschlich in unser Selbstbild integrieren. Die Akzeptanz von Schwächen trägt dazu bei, dass wir innerlich gelassener und entspannter sind im Umgang mit uns selbst, aber auch mit anderen Menschen.

Denn wer von sich selbst alles abverlangt, fordert auch von anderen viel. Das erzeugt Spannungen, die wir regulieren müssen. Nicht selten fällt es uns schwer, das Unperfekte anzunehmen und verlieren uns in Enttäuschungen, Wut und Unverständnis. Im Miteinander kann das zu Konflikten und verletzenden Situationen führen.

 

Wie uns social media beeinflusst

Ist dir auch schon einmal aufgefallen, dass der Ton auf Social Media rauer wird?

Diese Entwicklung macht viel mit uns und wie wir im Alltag miteinander kommunizieren. Auch wie verletzlich wir auf Kritik reagieren und wie wir diese interpretieren. Ebenso verändert es unsere Bereitschaft, Dinge anzusprechen, die uns wichtig wären, bei denen wir aber harsche Kritik befürchten.

Konflikte und Streitgespräche, bei denen sich Menschen verletzt und gekränkt fühlen, können sich unter diesen Umständen häufen.
— Sonja Unger, Mikrotrauma, 2024

Sicherlich kennst auch du das, dass du manchmal gerne eine abweichende Meinung äußern würdest, dich aber doch zurückhältst, weil du dich nicht einer Situation aussetzen möchtest, in der du dich von anderen abgewertet oder abgelehnt fühlen könntest.

Keine gute Entwicklung, wenn du mich fragst. Wenn wir nicht mehr sagen, was wir denken und meinen, könnte das insgesamt zu einer Verarmung unserer Kultur und unseres Miteinanders führen. Denn nicht nur derjenige, der etwas äußert, ist dafür verantwortlich, wie es beim Gegenüber ankommt, sonden auch die Interpretation des Gegenübers trägt Verantwortung dafür, wie er etwas Gesagtes wertet und wie naher das an sich heranlässt.

Vielleicht wäre es gut, wenn wir gemeinsam wieder mehr trainieren, kritische Äußerungen erst einmal verstehen zu wollen, die Absicht zu klären, je nachdem auch versuchen, es stehen zu lassen oder in eine fruchtbare Diskussion zu treten. Um uns auszutauschen und in Kontakt zu bleiben. Es ist möglich, Konflikte gemeinsam auszuhalten. Sicherlich nicht immer leicht, aber möglich.

 

Belastungen in der Arbeitswelt

Nimmst du auch steigende Anforderungen und wachsende Belastungen an deinem Arbeitsplatz wahr? Hast du auch den Eindruck, dass die Atmosphäre roher wird und du weniger Wertschätzung bekommst, als du es dir wünschen würdest?

Mit dieser Wahrnehmung bist du nicht allein!

 

Diese Entwicklung hat Folgen für die mentale Gesundheit.

Eine Dauerbelastung bei der Arbeit kann zu einer pathologischen Stressreaktion führen, die uns verletzlich macht für psychische Erkrankungen. Und noch etwas geschieht: Stehen Menschen unter starkem Stress verändert sich auch die Stimmung. Sie wird gereizter. Wo Menschen zusammen arbeiten, die aufgrund der Belastungen am Rande des Machbaren angekommen sind, sind Spannungen und Konflikte vorprogrammiert. Ein Nährboden für ein mikrotraumatisches Umfeld.

Menschen erleben durch dauerhaften Stress meist auch eine gereizte Stimmung. Sie neigen dazu, Erlebnisse pessimistischer und häufiger auch gegen sich gerichtet zu interpretieren. Konflikte und Streitigkeiten können die Folge sein.
— Sonja Unger, Mikrotrauma, 2024
 

Belastungen im Familienleben

Hast du auch den Eindruck, dass das Familienleben immer komplexer und anstrengender wird? Dass die Anforderungen an dich als Elternteil immer größer werden und du dich häufig belastet und gestresst fühlst?

Das geht mittlerweile vielen Eltern und ihren Kindern so. Und einige Statistiken sollten wir wohl als deutliche Alarmsignale wahrnehmen!

Das sind nur einige der Fakten, die ich während der Recherche zu meinem Buch gefunden habe. Sie geben Hinweise darauf, dass wir möglicherweise auch in unseren Familien verletzlicher werden für kränkende Erfahrungen und in diesem "safe space" gehäuft auf Verletzungen treffen können.

Wo Belastungen und Anforderungen an den Nerven zerren, entstehen Spannungen. Nicht nur in uns selbst, sonder nicht selten auch zwischen Partnern. Auch in Familien kann auf diese Weise ein Nährboden für Mikroverletzungen entstehen.
— Sonja Unger, Mikrotrauma, 2024
 

Zunehmende Radikalisierung verändert unser Miteinander

 

Eine zunehmende Intoleranz macht uns kränkbarer. Wieso? Weil wir uns erhaben fühlen können gegenüber scheinbar "falsch" Denkenden und abweichende Gedanken schneller als verletzend erleben können.

Meiner Ansicht nach wäre es hilfreich, wenn wir unsere Toleranz gegenseitig stärken würden. Das würde aber auch bedeuten, dass wir Andersedenkende erste einmal in ihren Gedanken annehmen müssten und nachfragen, wie etwas gemeint ist. Denn viel zu schnell werten wir Gedanken ab, statt zunächst einmal die Absicht zu klären.

Das würde bedeuten, dass wir zunächst einmal verstehen wollen, statt uns direkt abzugrenzen. Dass wir nachfühlen müssten, was in einem Menschen möglicherweise gerade vor sich geht, bevor wir zu werten beginnen.

Anstrengend wäre das mit Sicherheit. Anstrengender jedenfalls, als sich direkt gekränkt umzudrehen oder Wut und Unverständnis auszuagieren.

Aber wir könnten viel gewinnen: Offenheit, Gemeinsamkeit statt nur das Trennende im Blick zu haben, Nähe statt Recht haben wollen, Beziehung statt Spaltung.

Müsste das dann für alle radikalisierten Personen gelten? Das muss sicher jeder für sich selbst entscheiden. Denn sich auch radikalisierten Gruppen gegenüber noch offen zu halten, um ein tieferes Verständnis über deren Verwicklungen zu gewinnen, würde auch bedeuten, die eigenen Gefühle erst einmal auszuhalten und das Trennende oder gar Gegensätzliche eine Weile zu tolerieren, bevor man sich verschließt.

Verschiedene Gruppierungen bewegen sich voneinander weg, entwickeln Feindbilder und Schuldzuweisungen und sind immer weniger dazu bereit, genauer zu verstehen, mitzufühlen und zu tolerieren.
— Sonja Unger, Mikrotrauma, 2024
 

Viele weitere Facts und Gedanke findest du in meinem Buch!

 

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